Kommunale Wärmenetze als Weg zu einer kostengünstigen und sozial gerechten Wärmeversorgung in Schleswig-Holstein

Ein Fünftel aller CO2 Emissionen in Schleswig-Holstein entsteht durch die Erzeugung von Wärme für Haushalte und Industrie. Die Abhängigkeit von Gas und Öl ist in diesem Bereich besonders groß. Der Umstieg auf klimaneutrale Wärme stellt viele Haushalte vor eine große Herausforderung, oft vor eine unlösbare Aufgabe. Der Ausbau gemeinschaftlicher Infrastrukturen ist ein Schlüssel für eine sozial gerechte und nachhaltige Neuausrichtung der Wärmeversorgung.

Bild: Frederik Digulla

Was Schleswig-Holstein von Dänemark bei der Wärmeversorgung lernen kann

Die Trinkwasserversorgung haben wir in Schleswig-Holstein wie selbstverständlich durch gemeinschaftlich genutzte und in kommunaler Hand gehaltene Infrastruktur organisiert. Niemand würde heute auf die Idee kommen, dass wir für jedes Gebäude einen eigenen Brunnen bohren und eine separate Wasseraufbereitung einbauen. Und schon gar nicht würden wir zum Dorfzentrum laufen, um das Wasser in Eimern herbeizuschaffen. Der Aufbau einer gemeinsamen Infrastruktur für die Trinkwasserversorgung ist das Ergebnis politischer Entscheidungen.
Die heutige Infrastruktur unserer Trinkwasserversorgung wurde nicht allein deshalb gebaut, weil sie der sicherste, günstigste und effizienteste Weg ist. Wir wissen heute schon, dass diese drei Kriterien auch auf die Energieversorgung mit Wärmenetzen zutreffen. Trotzdem gibt es in Schleswig-Holstein keine umfassende Versorgung mit Nah- und Fernwärme. Das liegt am fehlenden politischen Willen und der mangelnden Bereitschaft, den Ausbau dieser Infrastruktur zu organisieren.
Im Gegensatz dazu hat sich Dänemark schon früh für den Ausbau von Wärmenetze entschieden. Das war das Ergebnis der Ölkrise im Jahr 1973. Durch ein Gesetz wurden Kommunen damals verpflichtet, die Wärmeversorgung vor Ort zu organisieren. Der kluge Ansatz war, die politischen und technischen Rahmenbedingungen auf nationaler Ebene zu setzen und die Kommunen in der Ausgestaltung weitgehend freie Hand zu lassen.
Heute werden 63 Prozent der Haushalte in Dänemark mit Fernwärme versorgt. Zum Vergleich: In Deutschland sind es 14 Prozent. Und 40 Prozent des dänischen Wärmebedarfs werden bereits aus Erneuerbaren Energien gedeckt. In Deutschland sind es nur rund 17 Prozent. Dieser große Unterschied ist entstanden, weil Dänemark früh im großen Maßstab Windenergie zur Wärmeerzeugung genutzt hat. Auch viele großflächige Solaranlagen werden zur Wärmeversorgung genutzt. Zudem gibt es Wärmespeicher mit Fassungsvermögen von bis zu 120.000 Kubikmetern. Das alles sind gemeinschaftliche Infrastrukturen, die nicht von alleine entstehen.
Dänemark beweist damit, dass eine gemeinschaftliche und klimaneutrale Wärmeversorgung möglich ist. Das Beispiel zeigt aber auch, dass dafür entschlossene Investitionen des Staates notwendig sind.

Was eine Straße mit 10 Häusern über den richtigen Weg bei der Wärmewende verrät

In Schleswig-Holstein und dem Rest von Deutschland sieht die Welt noch anders aus. Stellen wir uns eine typische deutsche Straße vor: In ihr stehen zehn Häuser. Alle haben eine Öl- oder Gasheizungen. Von diesem Ausgangspunkt sehen wir aktuell die folgende Entwicklung: In Haus eins und zwei wohnen Familien des aufgeklärten, Bürgertums. Klimaschutz ist ihnen wichtig. Sie verdienen gut und haben Solardach, Speicher und eine Wärmepumpe eingebaut und sind dadurch klimaneutral geworden.

Die Menschen in Haus drei und vier sind eher konservativ. Das nötige Geld für die Investitionen in eine Solaranlage und Wärmepumpe ist aber da. Wegen der steigenden Gaspreise haben sie sich jetzt für den Umstieg entschieden. Und auch Haus fünf und sechs werden in einer Weiterentwicklung bisheriger Förderlogik irgendwann so unterstützt, dass sie sich auch mit weniger Geld den Einbau einer Wärmepumpe leisten können.

Aber Haus sieben, acht, neun und zehn werden das niemals schaffen. Das Rentnerehepaar, das gar keinen Kredit mehr bekommt, der alleinerziehende Ergotherapeut und der Betreiber des Ladenlokals an der Ecke werden in keinem Förderregime der Welt aus eigener Kraft klimaneutral werden.
Die Alternative für sie ist der Bau gemeinschaftlicher Infrastruktur: ein Wärmenetz mit einer klimaneutralen Energiequelle. Aber: Dafür müsste die Nachbarschaft, die Kommune, das Land heute bereit sein, in eine gemeinschaftliche Infrastruktur zu investieren. So wie Dänemark das getan hat. Dafür drängt die Zeit. Die große Gefahr ist nämlich: In dem Moment, wo Haus sechs individuell klimaneutral geworden ist, gibt es keine gesellschaftliche Mehrheit mehr für eine gemeinsame Infrastruktur.

Hinzu kommt: Unsere aktuellen Stromnetze reichern gar nicht aus, dass sich Haus eins bis sechs eine Wärmepumpe einbauen können. Spätestens bei Haus vier werden wir an kalten Tagen die Kapazitäten des Netzes überschreiten. Die Straße muss also ohnehin aufgerissen werden. Wir können uns entscheiden, ob wir dann stärkere Stromkabel verlegen oder gleich Rohre für warmes Wasser, um das Problem für alle zu lösen.

Die Kraft, die mit Wärmenetzen verbunden ist, zeigt sich am Beispiel der Landeshauptstadt Kiel. Die dortigen Stadtwerke haben einen Plan vorgelegt mit dem die Wärmeproduktion spätestens bis zum Jahr 2040 klimaneutral wird. Das heißt: Ab 2040 ist auch die Wärmeversorgung von zehntausenden Kundinnen und Kunden in Kiel auf einen Schlag klimaneutral. Dafür muss von den Menschen kein Cent in neue Heizungen oder zusätzliche Dämmung investiert werden.
Diese Perspektive nimmt viel Angst und Sorge. Vor allem ist sie aber auch eine finanzielle Entlastung, führt zu Preisstabilität bei der Wärme und sorgt dafür, dass wir knappe Handwerkerkapazitäten frei halten, um die jetzt notwendigen zentralen Infrastrukturen zu bauen.

Was das Land jetzt politisch tun muss

Das Beispiel Dänemark zeigt, es braucht jetzt einen handlungsfähigen Staat, der in die Verantwortung geht und die Wärmewende mit einem klaren Plan entschlossen vorantreibt. Dafür gibt es in der Landespolitik drei zentrale Weichstellungen:

  1. Es braucht jetzt die politische Festlegung des Landes, dass wir bei der Wärmewende im Schwerpunkt auf Wärmenetze setzen. Ähnlich wie bei der Entscheidung für Glasfaser beim Breitbandausbau wird diese politische Setzung neue Kräfte freisetzen.
  2. Das Land muss einen flächendeckenden Versorgungsatlas für Schleswig-Holstein erarbeiten, der darlegt, in welchen Quartieren ein wirtschaftlicher Ausbau von Wärmenetzen möglich ist. Dies muss auch vor Ort kommuniziert werden, damit die Eigentümerinnen und Eigentümer der Immobilien und die Kommunen ihre Investitionsentscheidung daran orientieren können.
  3. Wärmenetze sollen den Nutzerinnen und Nutzern als öffentliche Infrastruktur zur Verfügung gestellt und nicht zur Gewinnmaximierung genutzt werden. Sie haben zwangsläufig Monopolcharakter. Die Bedingungen für die netzgebundene Wärmeversorgung müssen deshalb transparent und nutzerfreundlich gestaltet werden. Das bedeutet, dass preisbestimmende Faktoren wie Lieferverträge und Kostenfaktoren, weitere Erlöse wie aus dem Stromverkauf bei Blockheizkraftwerken, Auswirkungen der Co2-Preise sowie die erhaltende Förderung und schließlich die erzielten Gewinne offen gelegt werden müssen. Landesseitig muss die verantwortliche behördliche Stelle befähigt werden, bei Verstößen gegen die Transparenzpflicht einschreiten zu können.
  4. Das Land muss eine Landesinfrastrukturgesellschaft für die Unterstützung der Kommunen beim Bau von Wärmenetzen gründen und mit 200 Millionen Euro kapitalisieren. Je nach den örtlichen Gegebenheiten übernimmt sie unterschiedliche Aufgaben. Dazu gehört die Beratung von Gemeinden und Genossenschaften, die Finanzierung von Wärmenetzen, die operative Umsetzungsbegleitung und in Ausnahmefällen auch der Bau in eigener Trägerschaft.