Wenn die Waffen schweigen. Die Bedeutung von Kommunikation und Diplomatie.

Kiew Bild: Pixabay

 

Der Krieg in der Ukraine muss enden. Das ist ein weiterer Grund, warum Kommunikation und Diplomatie aufrechterhalten werden müssen. Denn wie anders sollen wir das Leid der ukrainischen Zivilbevölkerung stoppen?

 

Dreizehn Tage. Es waren diese dreizehn Tage im Oktober 1962, in der die Welt den Atem anhielt. Mit der Stationierung sowjetischer Atomraketen auf Kuba, also in unmittelbarer Nähe der USA, stand die Menschheit am Rande eines Atomkriegs. Es ist dem Verhalten einzelner zu verdanken, dass es nicht zum Äußersten kam. Und dem Glück im richtigen Moment.

Was wäre gewesen, wenn das versehentliche Eindringen eines amerikanischen Flugzeugs in den sowjetischen Luftraum weniger glimpflich ausgegangen wäre? Was wäre gewesen, wenn der sowjetische U-Boot-Offizier Wassili Alexandrowitsch Archipow sich nicht geweigert hätte, den Abschuss von Nuklearwaffen während der US-Seeblockade vor Kuba anzuweisen? Was wäre gewesen, wenn der amerikanische Präsident John F. Kennedy auf die Hardliner in den Militärs gehört und mit unmittelbaren Luftschlägen gegen die sowjetischen Militärbasen auf Kuba reagiert hätte? Bis heute können wir dankbar sein, dass Kennedy überlegt gehandelt und nicht den ersten menschlichen Impulsen nachgegeben hat.

Es klingt paradox, aber dieses 13 Tage im Oktober 1962 leiteten letzten Endes eine Entspannung zwischen Ost- und West ein, zumindest vorübergehend. Nachdem sie am Rande atomaren Abgrunds standen, bauten beide Lager die gemeinsame Kommunikation auf, auch um Missverständnisse mit gravierenden Folgen zu vermeiden. „Der heiße Draht“, eine Direktkommunikation zwischen Washington und Moskau, ist das anschaulichste Beispiel.

 

Was uns die Geschichte lehrt und was nicht

Nun ist es mit historischen Vergleichen so eine Sache. Geschichte wiederholt sich nicht 1:1. Eine Plattitüde. Und dennoch können wir aus der Vergangenheit Orientierung in der Gegenwart gewinnen, wie es der Historiker Jörn Rüsen sinngemäß ausdrückte. Indem wir vergleichen, aber nicht gleichsetzen. Indem wir Unterschiede und Parallelen ausmachen. Das Hilfreiche an der Geschichte ist, dass wir die Ergebnisse kennen, die das Handeln der damaligen Akteure hervorbrachte.

Der Ukraine-Krieg ist nicht mit der Situation während der Kuba-Krise gleichzusetzen, nicht in Gänze. Erst recht nicht in der moralischen Bewertung. Damals wurde die Katastrophe verhindert, heute ist sie eingetreten. Das moralische Urteil ist eindeutig: Putin ist für den Angriff auf die Ukraine verantwortlich: Für die vielen Familien, die ihr zu Hause verloren haben und geflüchtet sind. Für die vielen Toten, übrigens auf beiden Seiten. Für die Kriegsverbrechen an Frauen, Männern, gar Kindern, wie wir sie etwa in Butscha beobachten konnten. Putin gehört vor das UN-Kriegsverbrechertribunal nach Den Haag.

Darf man mit so einem noch reden? Ist es richtig, dass Bundeskanzler Olaf Scholz und der französische Präsident Macron weiterhin mit Putin telefonieren? Sollte man weiterhin eine politische Lösung ins Auge fassen? Die Antwort lautet: Man muss es sogar. Denn wir kommen zu einer historischen Parallele. Die atomare Bedrohung ist präsent. Fehlende Kommunikation kann gravierende Konsequenzen nach sich ziehen. Genauso wie eine Ausweitung des Krieges und eine direkte Konfrontation zwischen der NATO und Russland.

 

Wie Kriege enden

Der Krieg in der Ukraine muss enden. Das ist ein weiterer Grund, warum Kommunikation und Diplomatie aufrechterhalten werden müssen. Denn wie anders sollen wir das Leid der ukrainischen Zivilbevölkerung stoppen? Nur, weil die Diplomatie bisher gescheitert ist, war sie nicht falsch. Dazu genügt ein simples Gedankenexperiment: Man stelle sich vor, man hätte zu jeder Zeit diplomatische Lösungen verweigert und gleich auf Konfrontation oder gar militärische Mittel gesetzt.

Selbst wenn das Leiden in Putins Verantwortung liegt, so ist es im Interesse der Menschen in der Ukraine, dass die Waffen ruhen. Klar ist: Die Ukraine sollte eine möglichst starke Verhandlungsposition haben. Um diese zu erreichen, sollten wir uns aber nicht auf militärische Stärke verengen. Die gemeinsamen Sanktionen des Westens treffen Russland hart. Durch den Zusammenhalt in Europa und mit den Vereinigten Staaten ist Putin dauerhaft politisch isoliert. Wer aus der Ukraine flüchtet und Schutz sucht, findet Hilfe bei den europäischen Nachbarn. Finnland und Schweden sind im Begriff, in die NATO aufgenommen zu werden. Und mit der Ukraine sollen Beitrittsverhandlungen in die Europäische Union aufgenommen werden. Putin wird kein Gewinner des Kriegs sein, sofern dieser Begriff im Krieg überhaupt sinnvoll ist. Denn dieser Krieg kennt am Ende keine „Gewinner“.

Ein Ende der Kämpfe bedeutet nicht nur, das existentielle Risiko einer Entgrenzung des Kriegs zu verhindern, sondern auch, Zeit zu gewinnen. Die diplomatischen Bemühungen vor dem Ukraine-Krieg waren richtig. Aber wir brauchen auch eine neue Politik gegenüber Russland. Insbesondere müssen wir die Abhängigkeit von russischer Energie reduzieren und dafür sorgen, dass unsere Soldatinnen und Soldaten angemessen ausgerüstet sind. Ein Versäumnis aus jahrelanger christdemokratischer Politik im Verteidigungsministerium.

Ich bin kein Pazifist. Das ist eine bequeme Haltung, die moralische Konsequenzen ausblendet. Das militärische Eingreifen der Amerikaner im Zweiten Weltkrieg war richtig. Dass die Ukraine ihre Freiheit und Demokratie verteidigen, verdient unsere Solidarität. Aber hier sind wir wieder bei historischen Vergleichen. Auch Putin ist ein Kriegsverbrecher. Als die atomare Bedrohung im Zweiten Weltkrieg aber zutage trat, war Hitler-Deutschland bereits besiegt. Das ist wiederum keine Parallele zu heute. Und wir müssen die Realität anerkennen: Bei aller Unterstützung für die Ukraine. Die NATO wird in der Ukraine nicht eingreifen. Die Ukraine ist militärisch unterlegen. Eine militärische Lösung im Sinne der Ukraine wird es mithin nicht geben. Sondern nur eine diplomatische. Denn Kriege enden nicht durch Waffen. Dadurch werden sie verlängert und somit auch das Leid. Heute gilt: Kriege enden durch Worte. Das lehrt uns die Geschichte.