Deutschland – eine neue Welt

SPD-Kellinghusen veranstaltet einen Film-und Diskussionsabend zum Thema „Flucht und Ankunft in Deutschland“ – Der Hauptdarsteller des Dokumentarfilms Tarek Saad und die Gäste zeigen sich in der anschließende Fragerunde diskussionsfreudig.

„Krass“, sagte die 13-jährige Ronja in der Diskussion nach dem Film. „Krass, was Du schon alles erlebt hast,… dass du hier stehst, obwohl dich schon eine Kugel getroffen hat.“ Ronja beschrieb damit die Gefühlslage vieler Besucher der Film- und Diskussionsveranstaltung am Freitag Abend im Kellinghusener Bürgerhaus. Die SPD Kellinghusen hatte Tarek Saad eingeladen, gemeinsam mit Gästen die Dokumentation „First Line“ über Saad zu sehen, der die ersten Jahre und die ersten Erfahrungen eines Geflüchteten in Deutschland erzählt. Anschließend diskutierte die 40 Besucherinnen und Besucher mit Tarek Saad und hatten Gelegenheit, Fragen zu stellen.

Tarek Saad flieht 2014 aus dem Kriegsgebiet Syrien. Nach dem Abitur in Syrien arbeitet er als Kriegsberichterstatter. Er begleitet Truppen an die Front. In einem der Einsätze wird er an der Schulter und in den Kopf getroffen und fällt für fünf Tage ins Koma. Er entschließt sich, zu fliehen. Nach einer mühseligen Flucht landet er in Felde in Schleswig-Holstein. „Ich habe die erste fünf Tage fast nur geschlafen.“

In Felde nimmt ihn die Bürgermeisterin und SPD-Kommunalpolitikerin Petra Paulsen in ihre Obhut und begleitet ihn fortan. In Freiheit und Sicherheit kann Saad zur Ruhe kommen. Er beginnt ein Studium der Politik und hält Vorträge über den Film und seine Erfahrungen. Parallel engagiert er sich auch selber politisch. Auf einem Partei-Veranstaltung lernt er die Kellinghusener SPD-Vorsitzende Wiebke Tischler kennen, die sich beeindruckt von seiner Persönlichkeit und seinem Lebensweg zeigt und ihn nach Kellinghusen einlädt.

Die 42-minütige Dokumentation „First Line“ beginnt und endet mit Video-Sequenzen, die Tarek Saad selbst an der Front gedreht hat und die die Dramatik des Bürgerkriegs in Syrien eindrücklich zeigen. Dazwischen legt der Regisseur und Produzent Jonas Nahnsen Stationen der Flucht, seiner Ankunft und seines weiteren Weges in Deutschland. Jonas Nahnsen und Tarek Saad hatten sich an der Hochschule kennen gelernt. Sie waren sich bald einig, dass Nahnsens Bachelor-Arbeit das Leben und die Flucht Saads zeigen soll.

Saad wechselt in der anschließenden Fragerunde fließend zwischen seiner Heimatsprache Arabisch und seinem mittlerweile sehr gutem Deutsch. Viele Zuschauende im Publikum haben ähnliche Erfahrungen auf ihrer Flucht gemacht. Die Übersetzung lässt alle Zuhörenden an den interessanten Antworten des Hauptakteurs teilhaben.

Eindrücklich schildert Tarek auch seine ersten Erfahrungen auf SPD-Parteitagen. „Ich traute mich am Anfang nicht, mit Nein zu stimmen. Ich war die Freiheit und das Recht auf Kritik nicht gewohnt.“ Langsam gewöhnt sich Saad an sein Recht auf Gegenrede. Er vertritt sein Thema Migration auf Parteitagen und in Reden. Dabei lernt er auch SPD-Prominente wie den ehemaligen Ministerpräsidenten Torsten Albig oder die Flensburger Bürgermeisterin Simone Lange kennen.

Kritik äußert Saad an den Behörden. „Einer der wenige Orte, an denen ich mich nicht willkommen gefühlt habe, war die Ausländerbehörde.“ Viele der Anwensenden mit Flucht-Erfahrungen unterstützen diese Kritik. „Wir sind behörden-abhängig.“ Wünschenswert wären schnelle, unkomplizierte Behördengänge mit freundlichen Angestellten. „Das ist Problem ist nicht die Politik“, kontert das SPD-Kreisvorstandsmitglied Karin Thissen die aufkommende Kritik an der Politik. „Die Gesetze sind eindeutig. Politik und Verwaltung sind in Deutschland getrennt. Was in den Ämtern geschieht, kann die Politik nicht beeinflussen.“

Überparteilich zeigt sich Tarek Saad in der Frage der Migrationspolitik. Die Frage aus dem Publikum nach seiner Einschätzung seiner Partei zu seinem Thema beantwortet er mit einer parteiübergreifenden Forderung. „Zwar sehe ich die Migrationspolitik der SPD in Teilen auch kritisch.“ Er denke in diesem Punkt aber unabhängig. Er fordert die verantwortlichen Akteure zu parteiübergreifenden Lösungen auf.

„Ich vermisse noch meinen kleinen Heimatort in Syrien. Jeder grüßt jeden. Es gab viel gutes Essen.“ beschreibt Saad seine Erinnerungen an Syrien. Ob er später wieder nach Syrien zurückgeht, um ein neues politisches System aufzubauen, oder ob er im Westen seine Zukunft bestreitet, weiß er noch nicht. „Ich fühle keine Zughörigkeit. Ich fühle mich frei und unabhängig. Staaten und Grenzen sind nicht wichtig. Die Menschen darin sind entscheidend.“ waren die Worte, mit denen die Fragerunde endete. Danach erhoben sich die Besucher und zollten damit einer beeindruckenden Persönlichkeit und einem schon jetzt beeindruckenden Lebensweg Respekt.